Es gibt immer wieder neue Anfragen, wie viele Gehörlose in ganz Deutschland leben. In dem Artikel der Deutschen Gehörlosenzeitung (08/2018, Seite 17) „Vom Mythos der 80.000“ wird dies beschrieben. Auf diese Frage gibt es scheinbar keine einfache Antwort, denn es werden immer wieder unterschiedliche Statistiken dazu veröffentlicht. Deutscher Gehörlosen-Bund e. V. hat eine Stellungnahme zu diesem Thema veröffentlicht.
In Deutschland gibt es keine offizielle Statistik, die alle Personen in Deutschland, die eine Hörbehinderung haben bzw. gehörlos sind, erfasst.
Seit vielen Jahren gibt der Deutsche Gehörlosen-Bund e. V. bekannt, dass ca. 80.000 gehörlose Personen in Deutschland leben. Gerechnet wird im Allgemeinen mit einem Gehörlosen-Anteil von 0,1 % in Bezug auf die Gesamtbevölkerung, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Diese Annahme von einem Promille wird durch wissenschaftliche Quellen bestätigt. Laut dem Statistischen Bundesamt (Stand: 31.12.2018) leben insgesamt 83.019.200 Menschen in Deutschland. Demnach wäre von ca. 83.000 Gehörlosen auszugehen.
Nun gibt es aber auch andere Angaben, die dieser Zahl (auf den ersten Blick) widersprechen: Ende 2017 gab es laut Schwerbehindertenstatistik 28.228 Gehörlose und zusätzlich 20.139 gemeldete Personen mit Taubheit in Kombination mit Störungen der Sprachentwicklung und entsprechenden Störungen der geistigen Entwicklung, also 48.367 gehörlose Menschen in Deutschland.
Gehörlosenbund schrieb, dass die Gründe bekannt sein müssen, um diese Zahlen richtig zu interpretieren, warum die obige Statistik zu abweichenden Zahlen kommt. Der erste Grund dafür ist, dass „Gehörlosigkeit“ (wie jede andere Behinderung) nicht meldepflichtig ist. Niemand muss eine „Behinderung“ bzw. „Schwerbehinderung“ melden und so werden viele Menschen mit Hörbehinderung gar nicht gezählt, d. h. es gibt eine große Dunkelziffer.
Der zweite Grund ist, dass es unterschiedliche Definitionen des Begriffs „Gehörlosigkeit“ bzw. „Schwerhörigkeit“ gibt, wodurch dann auch unterschiedliche statistische Angaben entstehen. Dieselbe Statistik gibt zum Beispiel an, dass es insgesamt 262.539 schwerhörige Menschen gibt. Davon sind 53.569 in einem Maße schwerhörig, dass es an Taubheit grenzt, und haben einen Grad der Behinderung von 90 oder mehr. Würden diese 53.569 und die genannten 48.367 Gehörlosen zusammengefasst, ergäbe sich eine Zahl von 101.036. Dass mehr als 0,1 % der deutschen Gesamtbevölkerung gehörlos sind, ist also auch mit der Schwerbehindertenstatistik belegbar. Wir stellen fest, dass sehr viele an Taubheit grenzende Schwerhörige an den Aktivitäten der Gehörlosenvereine bzw. -verbände, die sich an unseren Dachverband angeschlossen haben, teilnehmen.
Eine andere Statistik kommt ebenfalls zu diesem Ergebnis: Laut den Angaben des deutschen Zentralregisters für kindliche Hörstörungen (DZH) kann in Deutschland von einer Prävalenz (= Anteil einer Population, auf den einer bestimmter Zustand zutrifft) beidseitiger kindlicher Hörstörungen von 1,2 von 1.000 Geburten ausgegangen werden (Gross et al. 2000, 879). Davon sind 41 % bei der Geburt hochgradig schwerhörig oder gehörlos mit mehr als 70 dB Hörverlust auf dem besseren Ohr (Flinck-Krämer et al. 2000, 121; Rohlfs et al. 2010, 1347). Das ist eine Prävalenz von 0,05. Wenn davon ausgegangen wird, dass es weit über 10 % progredient verlaufende kindliche Hörschädigungen und eine erhebliche Anzahl von erworbene Hörschädigungen gibt (Gross et al. 2000, 880 f.) und eine erhebliche Anzahl von erworbenen Hörschädigungen, erscheint die Annahme von Gehörlosigkeit bei mindestens 0,1 % der Bevölkerung ab dem Schulalter ebenfalls plausibel.
Es gibt zwei große Untersuchungen zur Prävalenz von Schwerhörigkeit in der Gesamtbevölkerung, HÖRSTAT und „Wie hört Deutschland?“, die sogar eine noch weitaus höhere Prävalenz nahelegen, als die offizielle Statistik nachweist (Gablenz et al. 2017): So wird dort von einem Anteil von 5,5 % aller Menschen ausgegangen, die eine Hörstörung von 40 dB Hörverlust und mehr auf dem besseren Ohr haben, während es nach der offiziellen Statistik des Bundesamtes insgesamt nur 0,36 % mit einer Hörstörung von 40 dB Hörverlust sind. Zwar sind mittelgradig schwerhörige Menschen sicherlich überproportional häufig Teil der Dunkelziffer, aber dennoch wird sich dies auch in der Kategorie der hochgradig schwerhörigen und gehörlosen Menschen auswirken. Insgesamt legen die beiden letztgenannten Studien einen Anteil von 0,2 % gehörloser Personen nahe, bei erheblichen methodischen Einschränkungen in Bezug auf diese Teilgruppe aufgrund der geringen Fallzahlen (Gablenz & Holube 2015, Gablenz et al. 2017). Auf der Grundlage dieser Daten ist ebenfalls davon auszugehen, dass die Annahme eines Gehörlosenanteils von 0,1 % sinnvoll ist.
Abschließend muss laut Deutschem Gehörlosen-Bund e. V. noch einmal hervorgehoben werden, dass unterschiedliche Definitionen von Gehörlosigkeit auch zu unterschiedlichen Zahlen führen: Das Statistische Bundesamt verwendet eine medizinische Definition von Gehörlosigkeit unter Zuhilfenahme der von HNO-Ärzten gemeldeten Angaben der Versorgungsämter als Grundlage seiner Statistiken. Aus Sicht des Deutschen Gehörlosen-Bundes wird Gehörlosigkeit jedoch nicht nur über einen angeborenen oder erworbenen Verlust des Hörvermögens definiert, sondern auch über das Merkmal bzw. den Status der sprachkulturellen Minderheit. Gehörlose bzw. hochgradig schwerhörige Personen kommunizieren vorwiegend in Gebärdensprache und fühlen sich der Gebärdensprachgemeinschaft und ihrer Kultur zugehörig. Das ist eine soziale und menschenrechtliche Definition!