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„Auch mit transparenten Masken stehen wir vor Barrieren“

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Maskenpflicht – Ja oder Nein, das ist hier N I CH T die Frage. Im folgenden Artikel möchte ich erklären, warum dieses Thema alle angeht.

Bestimmte Bundesländer haben kürzlich Sonderregelungen für Gehörlose hinsichtlich der bundesweiten Maskenpflicht eingeführt: Im Bundesland Baden-Württemberg zum Beispiel sind Gehörlose von der Maskenpflicht befreit. „Eine Befreiung von der Maskenpflicht für Gehörlose bedeutet NICHT verbesserte Kommunikation, weil das hörende Gegenüber seine Maske immer noch tragen muss. Selbst bei Vorlage des Schwerbehindertenausweises dürften die meisten Hörenden nicht bereit sein, die Maske abzunehmen, aus Angst oder Unsicherheit. Das Ganze wurde nicht bis zum Ende gedacht“, kommentiert Thomas Mitterhuber auf Facebook. Dem stimme ich voll und ganz zu.

Seit Tagen diskutiert die Gebärdensprach-Community über Maskenpflicht und die möglichen Folgen für Menschen, die für Ihre Kommunikation auf das Mundbild angewiesen sind. An anderen Stellen, auf die ich jetzt nicht weiter eingehen möchte, wird eingeworfen, dass das Absehen vom Mund nicht die geeignete Technik sei, um gesprochene Sprache zu verstehen. Viele fühlten sich dahingehend vom Sprechdrill in ihrer Kindheit, den sie als traumatisch erlebt haben, getriggert.

Lela Finkbeiner (Foto: Johannes Franke / TUECHTIG)

Kommen wir zurück zur Maskenpflicht: In meinen Augen, wird hierbei ein wichtiger Aspekt vernachlässigt, der alle angeht: Eine Maske bedeckt nicht nur das Mundbild, sondern einen erheblichen Teil des Gesichtes, nämlich den der Mimik. Mimik spielt schon im Säuglingsalter eine entscheidende Rolle. Babys haben ein angeborenes Interesse an der Mimik anderer Menschen. Nichts fesselt sie so sehr wie die Gesichter ihrer Eltern oder anderer Betreuungspersonen. Es wird um die Wette gelächelt, es werden Fratzen gezogen.

Über die Mimik drückt ein Mensch mehr aus, als er*sie es mit Worten allein könnte. Sie ist gemeinsam mit der Gestik ein wichtiger Bestandteil der nonverbalen Kommunikation, ganz unabhängig vom Hörstatus.

Oft ist es gar nicht so leicht, die Mimik unserer Mitmenschen richtig zu deuten, erst recht, wenn diese durch eine Maske verdeckt ist. Hinzu kommt der Trend der  letzten Tage, zusätzlich zum Mund- und Nasenschutz noch Sonnenbrillen zu tragen, wodurch eine Deutung von Emotionen gänzlich unmöglich wird. Emotionen lassen sich im Gesichtsausdruck zwar relativ einfach erkennen, sie können jedoch schnell fehlinterpretiert werden, erst recht, wenn sie zum großen Teil verdeckt sind. Die Mimik ist also ein wichtiger Bestandteil einer zwischenmenschlichen Interaktion.

Durch das Tragen von Masken wird sie allerdings nur eingeschränkt sichtbar. In der Gebärdensprache sind zudem die nicht-manuellen Kommunikationsmittel (Mimik, Blick, Kopf-, Oberkörperhaltung und Mundbild) wichtiger Teil der Grammatik. Natürlich versuchen wir Tauben, wie alle anderen Menschen auch, vorhandene Emotionen unseren Gesprächspartner*innen zusätzlich in der Mimik „zu lesen“.

Lange Rede, kurzer Sinn: Anstatt sich über „Sonderregelungen“ gegen Maskenpflichten auszusprechen, plädiere ich generell für Masken, die das komplette Gesicht sichtbar halten. Niemand weiß, wie lange die derzeitige Situation anhält. Auch wissen wir nicht, welche Auswirkungen die momentane Lage nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allem psychosozial haben wird. Wir sind soziale Menschen. Wir brauchen keine Extra-Regelungen für „hörbehinderte Menschen“, wie eine Befreiung von der Maskenpflicht. Masken schützen uns und unsere Mitmenschen vor Erkrankungen. Statt zu überlegen, wie eine Maskenpflicht zu umgehen wäre, wäre es sinnvoller nachzudenken, wie Masken aussehen könnten, die für Akzeptanz und gleichzeitig für Schutz sorgen. Zurzeit gibt der Staat ein Vermögen für die Bestellungen von Masken aus, die in öffentlichen Einrichtungen von Beamten*innen (z.B. Polizisten*innen) getragen werden sollen. Es wäre in meinen Augen eine Überlegung wert, in die Entwicklung von Masken zu investieren, die auch von Autist*innen angenommen werden, die Menschen mit Missbrauchserfahrungen vor Retraumatisierung bewahren, die kinderfreundlich sind, die die psychische Gesundheit aller Bürger*innen fördern und Vieles mehr. Solche Masken brauchen wir. Wir brauchen keine Extrawürste, sondern Schutz und Menschlichkeit.

Tags: Community, Coronavirus, Lela Finkbeiner, Maskenpflicht

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2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort

  • Das ist eine schwierige Frage. Ich finde, die Masken machen die Kommunikation allgemein schwierig, bis unmöglich. Auf der anderen Seite gilt es, die Pandemie so weit wie möglich einzudämmen. Hier gilt es zwischen dem Schutzzweck und dem Kommunikationsbedürfnis abzuwägen. Ich denke Masken, die ganze Gesicht sichtbar halten, wären ein guter Ansatz.

    Antworten
  • Maskenpflicht gibt es im ÖPNV nun nicht mehr. Ich habe aber erst vor einigen Tagen Leute ind der Straßenbahn gesehen, die mit Maske gebärdet haben. Andere einhändig in das Handy. Hut ab.

    Aber um ehrlich zu sein ist das ganz einfach. Zahl der Leute abschätzen, Lüftungsverhältnisse, Abstand einschätzen, außerhalb der Spuckreichweite, Kontaktzeiten etc.

    Und einfach vereinbaren ob, wie oder wo man kommuniziert. Die Sprache ist dabei eigentlich relativ egal.

    Manchmal ist es auch nicht so erfreulich: Am gleichen Tag: Vortrag im vollen Hörsaal. Alle Teilnehmer gebärden ausnahmslos. Miese Luft, kaum einer mit Maske, viele Leute.

    Aber auch hier muss natürlich jeder selbst entscheiden. Ich hatte jedenfalls kein gutes Gefühl.

    Antworten

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