Mein Name ist Maria Kopf und ich möchte im Folgenden meine Masterarbeit vorstellen. Die Masterarbeit ist im Studienfach Gebärdensprache am Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser (IDGS) der Universität Hamburg im Jahr 2020 entstanden. Betreut wurde sie von Prof.in Dr.in Annika Herrmann und Dr.in phil. Verena Krausneker. Für Fragen oder Anmerkungen erreichen Sie mich unter maria.kopf@uni-hamburg.de, gerne auch im DGS-Videoformat.
Was habe ich untersucht?
In meiner Masterarbeit untersuchte ich, wie geschlechtersensible Formulierungen in der Deutschen Gebärdensprache (DGS) aussehen. Ich verwende den Begriff Geschlecht als Überbegriff für das biologische Geschlecht und das soziale Geschlecht (häufig auch gender genannt). In der deutschen Lautsprache können Geschlechter betont werden, zum Beispiel das weibliche Geschlecht durch den Suffix -in (z. B. Arbeiterin). Geschlechter können aber auch abstrahiert werden, zum Beispiel, indem alle Geschlechter miteinbezogen werden, wie durch das Gendersternchen (z. B. Student*innen). Ich fragte mich, ob es in der DGS ähnliche Strategien gibt. Während meiner Forschung sind auch andere Fragen aufgekommen: zum Beispiel, ob es sexistische Gebärden und Genus (=grammatikalisches Geschlecht) in der DGS gibt.
Was habe ich gemacht?
Zuerst informierte ich mich zu verschiedenen Themenbereichen. Unter anderem suchte ich Literatur zu der bisherigen Forschung. Ich informierte mich darüber, wie man in der DGS Personen bezeichnen kann und auf Personen verweisen kann. Ich sah mir Genus in Lautsprachen an und las viel über Sprachleitfäden zu geschlechtersensibler Sprache in der deutschen Lautsprache. Zusätzlich suchte ich Informationen darüber, wie Genus und Geschlecht in unterschiedlichen Gebärdensprachen ausgedrückt werden können. Nach dieser intensiven Literaturarbeit traf ich mich mit tauben und hörenden Expert*innen und unterhielt mich mit ihnen über das Thema. So entstanden sieben Expert*inneninterviews in DGS, deutscher Lautsprache und deutscher Schriftsprache mit sechs tauben und einer hörenden Person. Die Interviews transkribierte ich anschließend. Dazu musste ich sie in die deutsche Schriftsprache übersetzen. Ich möchte hier betonen, dass ich keine ausgebildete Dolmetscherin bin, deshalb sind die Transkripte vermutlich nicht fehlerfrei. Schwierige Passagen habe ich allerdings mit einer*m Dolmetscher*in besprochen. Die Transkripte analysierte ich anhand von Codierungen, das heißt: Ich habe häufig vorkommende Themen farblich markiert, dann die Inhalte verglichen und versucht Schlüsse daraus zu ziehen. So kam ich zu meinen Ergebnissen.
Was habe ich herausgefunden?
Personenbezeichnungen
• Waldemar Schwager schrieb bereits 2012, dass es in der DGS kein Genus gibt. Das bestätigen auch die von mir geführten Interviews. • Auf semantischer Ebene (=die Bedeutung von Wörtern) gibt es allerdings Geschlechterkategorien, zum Beispiel gibt es nicht nur die Gebärde ELTERN, sondern auch eine Gebärde für weibliche Elternteile (MUTTER) und männliche Elternteile (VATER).
• Die Interviews haben auch gezeigt, dass es in der DGS diskriminierende Gebärden gibt. Zum Beispiel greifen einige Varianten der Gebärde FRAU auf körperliche Geschlechtsmerkmale oder stereotype Erscheinungs- und Verhaltensformen zurück. Einige Expert*innen meinten, dass diese negative Bewertung enthalten. Auch Mundbild und Mimik können diskriminierend sein.
• Es gibt verschiedene Möglichkeiten für geschlechtersensible Formulierungen in der DGS. Geschlechter können betont und somit sichtbar gemacht werden durch eine lexikalische Markierung. Dazu werden Appellativa (=Namen für Gruppen von Menschen) wie FRAU, INTER, FLUID, MANN und andere Gebärden mit Personenbezeichnungen kombiniert. Die Gebärden werden meist nach der Personenbezeichnung gebärdet, manchmal auch mit den Gebärden INDEX oder SELBST davor:
ARBEIT+FRAU
ARBEIT+INDEX+FLUID
ARBEIT+SELBST+MANN
• Eine Markierung mit einem Suffix (=angehängter Wortteil, z. B. -in) ist auch möglich, allerdings konnte ich nur für die Geschlechtskategorien weiblich und nichtbinär Suffixe finden:
ARBEIT+IN (weiblich)
ARBEIT+X (nicht-binär)
ARBEIT+STERN+IN (nicht-binär)
• Ebenso kann das Mundbild zur Spezifizierung und zur Abstrahierung verwendet werden. Um das Geschlecht zu spezifizieren werden Mundbilder wie „frau“ und „mann“ deutlich artikuliert, um es zu abstrahieren werden die Mundbilder verkürzt, zum Beispiel durch „ma“ für Maler*in.
• Um das Geschlecht zu abstrahieren kann auch die Gebärde PERSON verwendet werden:
ARBEIT+PERSON
• Bei einer Gruppe von Menschen kann auch das Gendersternchen für die Abstrahierung verwendet werden:
ARBEIT+STERN+PERSON
• Pronomen werden in der DGS durch einen INDEX ausgeführt. Der INDEX ist geschlechtsübergreifend und kann für alle Geschlechter gleich verwendet werden.
Das Suffix -IN
• Die Expert*innen berichteten davon, dass das Suffix vermutlich im Norden Deutschlands entstanden ist und bereits in den 1980er-Jahren verwendet wurde.
• Das Suffix kann an Personenbezeichnungen gehängt werden, an welche genau muss noch untersucht werden. Bei Berufsbezeichnungen scheint es allerdings am meisten verwendet zu werden.
• Semantisch verweist das -IN auf eine einzelne weibliche Person und ist somit der Strategie der Sichtbarmachung von Frauen zuzuordnen.
• Verwendet wird das -IN laut den Expert*innen insbesondere von Dolmetscher*innen und Lehrer*innen. Außerdem scheinen es Hörende mehr zu verwenden als Taube. Zu beobachten ist das -IN vorranging in Hamburg und Berlin.
• Ob das -IN von einzelnen Personen verwendet wird oder nicht, kann an einer Vielzahl von Gründen liegen, unter anderem können die politische Einstellung, der Umgang mit dem Thema Geschlechtsidentität und Gewohnheit einen Einfluss auf die Verwendung haben. Ein weiterer Einflussfaktor ist das Bild, das im Kopf entsteht, wenn Gebärden wie PROFESSOR gesehen werden.
Diskriminierende Gebärden
• Warum eine Gebärde diskriminierend ist konnte nicht komplett geklärt werden. Mögliche Gründe sind: die mit den Gebärden verknüpften Bilder oder auch Mimik und Mundbilder. Für einen nicht-diskriminierenden Sprachgebrauch empfehlen die Expert*innen darauf zu achten, wie eine Gruppe benannt werden möchte und wie nicht. Dieses Thema wird in der gebärdensprachigen Gemeinschaft sowohl online als auch offline stark diskutiert.
Rollenübernahme
• Ich konnte zwei Möglichkeiten feststellen, um in einer Rollenübernahme (Constructed Action) das Geschlecht einer Person auszudrücken. Entweder kann die Information über das Geschlecht der Person vor der Rollenübernahme gegeben werden. Oder es kann während der Rollenübernahme das sozial gelernte Verhalten kopiert werden. Insbesondere in der Rollenübernahme scheint aber die Vorstellung von zwei Geschlechtern (Mann und Frau) noch sehr stark zu sein. Außerdem werden dafür oft typisch stereotype Geschlechtsbilder verwendet.
Warum ist das interessant?
Wie wir über Personen gebärden und reden, kann Einfluss darauf haben, wie wir über sie denken, oder auch, ob wir an sie denken. Wird immer nur über Männer gebärdet, wird auch nicht an andere Geschlechter gedacht. Durch das Sammeln von unterschiedlichen Formulierungen können Personen frei entscheiden, wie sie sich ausdrücken wollen. Fehlen Informationen dazu, welche Formulierungen es überhaupt gibt, können diese auch nicht verwendet werden. Auch für Dolmetscher*innen sind diese Formulierungen wichtig, um geschlechtersensible Sprache deutlich und richtig zwischen den Sprachen übertragen zu können. Für die Forschung ergeben sich spannende Fragen, zum Beispiel nach linguistischen Kategorien wie dem Genus, oder verschiedenen Möglichkeiten Wörter zu bilden.
Literatur: Schwager, Waldemar (2012). Morphologie: Bildung und Modifikation von Gebärden. In H. Eichmann, M. Hansen & J. Heßmann (Hrsg.), Handbuch deutsche Gebärdensprache. Sprachwissenschaftliche und anwendungsbezogene Perspektiven (Internationale Arbeiten zur Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser, Band 50, 61-110). Seedorf: Signum.
Ein herzliches Dankeschön an alle Beteiligten!