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Ich bin doch nur gehörlos, nicht krank – Berliner Kurier

Björn Blumeier ist hörbehindert und kämpft um seinen Traumjob bei der Feuerwehr. 
8.07.21, 14:17 Uhr | Von Stefanie Hildebrandt
Björn Blumeier ist ein cooler Typ. Schwarzes Kapuzenshirt, Tätowierungen an den Armen und im Gesicht, dunkle, freundliche Augen, erste graue Haare im Bart. Wer ihn sieht, ordnet ihn irgendwo in die Hipster-Ecke ein. Jung, urban, bestimmt ein Job in einem Start-up irgendwo in Kreuzberg.

Dass Björn Blumeier, fit und voller Energie, aber darum kämpfen muss, dass er seine Kraft und sein Können für die Gesellschaft einsetzen kann, das sieht man nicht. Björn ist hörbehindert. Seit seiner Geburt schon, wie auch sein Zwillingsbruder Arne. Und Björn hat einen Traum: ein Job bei der Feuerwehr, ein Job, bei dem er endlich beweisen könnte, dass man nicht krank ist, nur weil man nicht hört.
Deutschland im Jahr 2021, eines der reichsten Länder der Welt. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist seit 24 Jahren ratifiziert. Ein Übereinkommen, welches die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen untersagt. Deutschland verpflichtet sich dazu, Menschen mit Behinderungen eine uneingeschränkte Teilhabe zu gewähren und die Ausübung ihrer Menschenrechte zu ermöglichen. Soweit die Theorie.
„Deutschland ist, was die Teilhabe von Gehörlosen angeht, ein Entwicklungsland“, sagt Björn Blumeier. Der 44-Jährige sammelt Nachrichten aus aller Welt. Geschichten darüber, was Gehörlose wie er erreichen können. In Süddeutschland etwa gibt es eine gehörlose Notfallsanitäterin, in Brasilien steuert ein gehörloser Co-Pilot Flugzeuge, in den USA gibt es einen 24-Stunden Dolmetscher-Service für Gehörlose. Es gibt gehörlose Busfahrer, Taxifahrer, LKW-Kraftfahrer, in Israel und in den USA gehen Gehörlose zur Militär. Dass er seinen Traum nicht leben kann, nur weil er nicht hört, damit will sich Björn Blumeier nicht abfinden.
„Ich bin jung und fit und gesund“, sagt Björn Blumeier. „Gehörlose können alles. Mit Hilfe von moderner Technik und ein bisschen gutem Willen und Teamarbeit.“
Vor einigen Jahren hat ihm eine Mitarbeiterin des Jobcenters eine Chance gegeben, Björn Blumeier durfte eine Ausbildung zum Rettungssanitäter absolvieren. Obwohl alle glaubten, dass er es mit seiner Hörbehinderung nicht schaffen wird, beißt er sich durch. Er schließt die Ausbildung ab, kann ein Praktikum bei den Maltesern absolvieren.
Doch immer wieder gerät die berufliche Karriere ins Stocken, kommt er wegen Vorbehalten nicht weiter. Corona und die Pflicht, stets Gesichtsmasken tragen zu müssen, machen es Björn Blumeier schließlich unmöglich, im Gespräch von den Lippen abzulesen. Dabei träumt Blumeier von einem Job, in dem er anderen helfen kann. Er bewirbt sich in Berlin und im Umland bei der Feuerwehr. Doch es kommen nur Absagen:
Mitarbeiter und Chefs haben immer neue Einwände: wie er etwa im Dunkeln kommunizieren wolle, wie bei einem Einsatz der Feuerwehr mit Rauchentwicklung? „Meine Gegenfrage war, wie können Rettungssanitäter im Dunkeln Nadel in Venen piksen?“, sagt Blumeier.
„Ich habe mich geärgert, als eine Absage mit der Begründung kam, ich sei aufgrund  fehlender gesundheitlicher Eignung nicht zu gebrauchen“, sagt Björn Blumeier. Seine Fähigkeiten praktisch unter Beweis stellen, dazu kommt es meist erst gar nicht.
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Bis Februar 2021 ist Blumeier bei einem Krankentransportunternehmen angestellt. Während eines Notfalls reanimiert er sogar eine Patientin und telefoniert mit der Feuerwehr. „Ja, das was schwer, aber ich habe es geschafft“, sagt er. Es muss doch Tätigkeiten geben, bei denen nicht alles an normaler Kommunikation hängt: Schläuche aufrollen, Autos fahren, technische Hilfe leisten, auch den Einsatz als Dolmetscher für andere Gehörlose kann sich Björn Blumeier gut vorstellen. In einem Team könnte er trotz seines Handicaps wertvolle Arbeit leisten.
Das Interview über seinen Traum kriegt Björn Blumeier ganz ohne technische Hilfsmittel hin. Die Fragen liest er von den Lippen ab. Was sich sonst noch für Gehörlose verbessern müsste, wollen wir wissen. Björn Blumeier muss nicht lange überlegen:
Es bräuchte einen Notruf, der mittels Kameratechnik auch für Gehörlose funktioniert. Ansagen auf Bahnhöfen und Flughäfen müssten nicht nur per Lautsprecher kommen, sondern auch schriftlich auf Anzeigetafeln. Videoterminals mit Gebärdensprache und vor allem der Ausbau eines flächendeckenden Handynetzes wären eine große Hilfe. Auf Autobahnen etwa ist die schriftliche Kommunikation kaum möglich.
Vor allem aber will Björn Blumeier eines erreichen: die Menschen sollen sehen und verstehen," dass wir sehr viel mehr erreichen können, als man uns zutraut". Er fügt hinzu: „Ich wünsche mir, dass die Gesellschaft viel öfter sagt, okay lass es uns einfach ausprobieren.“

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