Das Inklusionsbarometer Arbeit 2022 zeigt: Die Arbeitsmarktsituation für Menschen mit Behinderung stabilisiert sich wieder, aber die Folgen der Pandemie halten an. Das belegt unter anderem die hohe Zahl an Langzeitarbeitslosen. Trotz des Fachkräftemangels missachtet der Arbeitsmarkt weiter die Potenziale von Menschen mit Behinderung. Zu diesen Ergebnissen kommt das Inklusionsbarometer, das das Handelsblatt Research Institute im Auftrag der Aktion Mensch erstellt hat.
Die Folgen der Pandemie sind für Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt noch immer spürbar: Zwar sinken die Arbeitslosenzahlen nach Jahren der Krise wieder, gleichzeitig verschärft sich jedoch die Langzeitarbeitslosigkeit. Nahezu die Hälfte aller Menschen mit Behinderung ohne Erwerbstätigkeit ist mindestens ein Jahr arbeitssuchend – ein Plus von fünf Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Erholung und Fortschritt der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt scheitern dabei insbesondere an der Beschäftigungsbereitschaft der Unternehmen. Zu diesem Ergebnis kommt das Inklusionsbarometer Arbeit der Aktion Mensch und des Handelsblatt Research Institutes, das in diesem Jahr zum zehnten Mal erscheint.
Ausgleichsabgabe statt Beschäftigung – Mehrheit der Unternehmen kauft sich frei
Etwa 173.000 Unternehmen in Deutschland sind gesetzlich dazu aufgefordert, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze an Menschen mit Behinderung zu vergeben. Während lediglich rund 40 Prozent dieser Unternehmen alle Pflichtarbeitsplätze besetzen, beschäftigen 25 Prozent keinerlei Arbeitnehmer*innen mit Behinderung. Sie entziehen sich gänzlich ihrer Verpflichtung und zahlen stattdessen die volle Höhe der sogenannten Ausgleichsabgabe.
Die derzeitige Einstellungspolitik ist umso kritischer vor dem Hintergrund der positiven Erfahrungen von Unternehmen zu bewerten, die Menschen mit Behinderung beschäftigen: 80 Prozent geben laut einer repräsentativen Befragung im Rahmen der Studie an, keine Leistungsunterschiede zwischen Kolleg*innen mit und ohne Behinderung wahrzunehmen „Die Entwicklung der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt hängt entscheidend von der Beschäftigungsbereitschaft der Unternehmen ab. Doch trotz zunehmender Personalengpässe ignorieren viele das Potenzial von Arbeitnehmer*innen mit Behinderung“, so Prof. Dr. Bert Rürup, Präsident des Handelsblatt Research Institutes.
Gespaltene Situation: Stabile Arbeitsverhältnisse versus Langzeitarbeitslosigkeit
Einmal auf dem Arbeitsmarkt angekommen, bewertet das Gros der Angestellten mit Behinderung den Einsatz ihrer Fähigkeiten als adäquat: 89 Prozent bestätigen, dass sie ihren beruflichen Qualifikationen entsprechend eingesetzt werden. Gleichzeitig erweisen sich bestehende Arbeitsverhältnisse als stabil – im Jahr 2021 gab es mit 19.746 so wenig Anträge auf Kündigung von Menschen mit Behinderung wie noch nie seit Erscheinen des ersten Inklusionsbarometers.
Digitale Technologien und Hilfsmittel sind heute im Arbeitskontext wichtiger denn je. Aus diesem Grund wurde für das Inklusionsbarometer 2022 eine Zusatzbefragung zum Thema Digitalisierung durchgeführt. Ein Ergebnis: Neue Entwicklungen machen es theoretisch möglich, das hohe Arbeitskräftepotenzial von Menschen mit Behinderung wie nie zuvor zu mobilisieren. Assistierende Technologien, digitale Barrierefreiheit und räumliche Flexibilität durch Home-Office oder mobiles Arbeiten könnten die Rahmenbedingungen für Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt verbessern und zu mehr Teilhabe führen. Arbeitslose Menschen mit Behinderung müssen deshalb qualifiziert und weitergebildet werden, damit sie während der oft längeren Zeit der Erwerbslosigkeit nicht von der schnelllebigen Entwicklung abgeschnitten werden.