Es ist eine klare Entscheidung: Mit 86,2 Prozent hat die Stimmbevölkerung im Schweizerischen Kanton Tessin am 30. Oktober 2022 Ja zu einem neuen Artikel in der Kantonsverfassung gesagt. Darin wird die Lingua italiana dei segni (Italienische Gebärdensprache) offiziell anerkannt. Von einem „Freudentag“ schreibt der Schweizerische Gehörlosenbund in einer Mitteilung vom Sonntag. So sei ihre Sprache nun im Tessin rechtlich anerkannt – was gerade im Hinblick auf die Chancengleichheit einen wichtigen Schritt darstelle, so die Organisation. Eine Maßnahme, auf die die Gehörlosengemeinschaft und der Schweizerische Gehörlosenbund, der sich seit Jahren dafür einsetzt, schon lange gewartet haben.
Der Kanton Tessin ist nach Genf und Zürich der dritte Kanton, der einen Weg zur Anerkennung der Gebärdensprachen einschlägt. Der Schweizerische Gehörlosenbund wird sich umgehend dafür einsetzen, dass diese Anerkennung nicht nur auf dem Papier steht, sondern in der Praxis umgesetzt wird, um die Gleichberechtigung der gehörlosen Menschen zu gewährleisten.
Auf Bundesebene gibt es auch Anstrengungen: Im Nationalrat wurde im Sommer ein entsprechender Vorschlag überwiesen und der Bundesrat hat sich jüngst zur Thematik geäußert. Seiner Ansicht nach ist eine rechtliche Anerkennung „nicht zwingend“ notwendig, die bestehenden Ansätze könnten vielmehr im Sinn einer „tatsächlichen Anerkennung“ der Sprache und Kultur der Gehörlosen weiterentwickelt und gefördert werden, wie z.B. über einen Rahmen der Behindertenpolitik des Bundesrats.
In der Schweiz leben etwa 10.000 Menschen, die von Geburt an taub sind. Viele von ihnen benutzen eine der drei in der Schweiz verbreiteten Gebärdensprachen: die Deutschschweizer Gebärdensprache (DSGS), die Langue des signes française (LSF) und die Lingua italiana dei segni (LIS). Allerdings ist hierzulande weder auf Verfassungs- noch auf Gesetzesebene eine Gebärdensprache explizit erwähnt, im Gegensatz zu den meisten europäischen Staaten.