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20 Jahre Deutsche Gebärdensprache: Wir können alles außer … – ARD Alpha

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Von: Julia Wieland
Stand: 24.08.2022
In einem überfüllten, lauten Zug auf einer Strecke in Deutschland: Inmitten des ganzen Lärms, in dem man sein eigenes Wort nicht verstehen kann, sitzen sich zwei junge Frauen gegenüber und sprechen lebhaft miteinander – die Geräuschkulisse spielt dabei keine Rolle. Sie kommunizieren vollkommen still und verwenden dafür ihre Hände, ihre Mimik und Gestik. Nichts ahnende Außenstehende verstehen nicht, was sich diese beiden in ihrer "Geheimsprache" erzählen. Faszinierend! Was die beiden da sprechen, nennt sich Deutsche Gebärdensprache, kurz: DGS.
Die Deutsche Gebärdensprache ist eine visuelle eigenständige Sprache mit einer komplexen Grammatik, die ganz anderen Regeln folgt als die deutsche Laut- und Schriftsprache. Zum Beispiel gibt es in der DGS keine Zeitformen des Verbs, dies kann nur mit Beschreibungen wie „morgen“ oder „gestern“ ausgedrückt werden. So ist es auch in vielen anderen Gebärdensprachen (zum Beispiel im Chinesischen). In Deutschland sprechen etwa 250.000 Menschen DGS. Dazu gehören taube oder gehörlose, schwerhörige Menschen und Menschen mit Hörbehinderung. Sie sprechen DGS sogar oft als Muttersprache.
Heute ist die DGS als eigenständige Sprache anerkannt; Amtssprache wie in Neuseeland, Simbabwe, Papua-Guinea oder Südkorea ist sie aber noch nicht. Obwohl die Vollwertigkeit von Gebärdensprachen durch sprachwissenschaftliche Forschungen bereits in den 1960er-Jahren festgestellt wurde, war die Deutsche Gebärdensprache in der Frühförderung und im Bildungsbereich lange verpönt. Sie galt als Kommunikationshilfe zweiter Klasse und war zeitweise sogar verboten: Hörbehinderte Kinder wurden gezwungen, das Sprechen zu lernen, um sie an die hörende Gesellschaft anzupassen. Auch heute noch wird diskutiert, ob man beispielsweise durch bilingualen Spracherwerb (Gebärden- und Lautsprache) gehörlosen Kindern den Zugang zu beiden Sprachwelten ermöglichen und erleichtern sollte. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass mit der Verwendung von beidem, Gebärden- und Lautsprache, ein vollumfänglicher Spracherwerb funktioniert.

Erst im April 2002, also vor rund 20 Jahren, wurde die Deutsche Gebärdensprache durch das deutsche Behindertengleichstellungsgesetz offiziell als Sprache anerkannt. Wer erste Worte in DGS lernen möchte, findet gleich nachfolgend eine kleine Einführung mit Anke.
Die Deutsche Gebärdensprache ist eine lokale Sprache. Sie zeigt keine weiteren größeren Verwandtschaften auf, außer mit der Israelischen Gebärdensprache. Das hat den Hintergrund, dass jüdische Gehörlosenlehrer:innen und taube Schüler:innen auf ihrer Flucht nach Israel die DGS mitgenommen haben – die Schule wiederaufleben ließen und die DGS weiterverwendeten. Gebärden sind also nicht international einheitlich. Jedes Land hat seine eigene Gebärdensprache und sogar einzelne Landesregionen haben ihre unterschiedlichen Dialekte, vergleichbar mit denen der Deutschen Laut- und Schriftsprache (zum Beispiel Bairisch).
Gehörlose bildeten häufig eine kleine Gemeinschaft, daher wurde die regionale Sprachentwicklung stark von einzelnen Schulen für hörgeschädigte Kinder und sogar von einzelnen Lehrer:innen geprägt. Die erste Gehörlosenschule weltweit wurde von dem Mönch Abbé Charles-Michel de l’Epée 1770 in Paris gegründet.
Abbé de l'Epée war mit ganzem Herzen Lehrer – und investierte dafür sein gesamtes Einkommen und Vermögen.
Es gibt aber durchaus Zeichen, die weltweit verstanden werden, die sogenannten „International Signs“. Aber Vorsicht: Manche Gebärden müssen in ihrem sozio-kulturellen Kontext gesehen werden, um Missverständnisse zu vermeiden.

Aufgrund der visuellen Natur ist es möglich, einfachere Gebärden auch für jemanden verständlich zu machen, der die Gebärdensprache eines anderen Landes spricht – beispielsweise Japan. Das gilt unter anderem für die Gebärde „trinken“. Eine komplexere Unterhaltung über abstrakte Themen ist aber eher nicht möglich. Durch regionale Unterschiede in der DGS kann es auch innerhalb Deutschlands zu Missverständnissen kommen.
Denn Gebärdensprache wird nicht intuitiv (auch von Hörenden) weltweit verstanden, wie es bei Pantomime der Fall wäre. Gebärdensprache muss wie jede andere (gesprochene) Fremdsprache erlernt werden. Weltweit gibt es rund 200 Gebärdensprachen und rund 70 Millionen Sprecher:innen.

Gibt es für Fremdwörter, Eigennamen oder unbekannte Begriffe noch keine Gebärden, werden diese neu entwickelt oder es wird ein Fingeralphabet herangezogen: Damit lässt sich jeder Buchstabe visuell darstellen. Im Foto, das unseren Artikel eröffnet, werden die Buchstaben I, L und Y gezeigt, was im amerikanischen Sprachraum ursprünglich für „I love you“ steht. In der Gemeinschaft der Gehörlosen hat ILY aber noch weitere Bedeutungen: Ich sehe dich, ich interessiere mich für dich, ich respektiere dich …
Auch das Fingeralphabet ist nicht international und kann von Gebärdensprache zu Gebärdensprache unterschiedlich sein, weil sich die Fingeralphabete überwiegend am Schriftbild der jeweiligen Lautsprache orientieren. Wie bei der Gebärdensprache gibt es aber Handformen, die international weitbekannt sind. Auch Personennamen müssen nicht immer buchstabiert werden.

In Deutschland leben etwa 80.000 Gehörlose. Sie sind untereinander eng vernetzt und Teil einer eigenständigen Gehörlosenkultur. Innerhalb dieser Gebärdensprachgemeinschaft erhält jede:r ihre/seine eigene Namensgebärde, die meist ein Leben lang gleich bleibt und ein typisches – oft äußerliches – Merkmal der Person aufgreift. Auch Personen des öffentlichen Lebens und Prominente erhalten eine Namensgebärde, zum Beispiel Bundeskanzler Olaf Scholz. Sein hervorstechendstes Merkmal: die Glatze.
In einer Welt, in der Hören als normal gesehen wird, und Nichthören als Behinderung, gibt es viele Hürden zu meistern: Behördengänge, Termine bei der Bank oder beim Arzt, der Schulbesuch in einer Regelschule, eine Berufsausbildung oder der Besuch einer Universität für Hörende – das alles funktioniert nicht ohne Hilfe. Oft müssen Menschen mit Hörbehinderung lange darauf warten, dass sie von Gebärdensprachdolmetscher:innen begleitet werden können. Die Aufwendungen dafür müssen beantragt werden und das Budget ist nur begrenzt.

Wie sieht der Alltag in einer Welt aus, die ganz offensichtlich für eine hörende Mehrheit eingerichtet ist?
Es sind oft nur Kleinigkeiten, aber gerade die können den Alltag deutlich erschweren. Zum Beispiel: Aufzug fahren. Wie soll man im Notfall auf sich aufmerksam machen, wenn es nur einen Notrufknopf mit akustischem Signal und eine Gegensprechanlage ohne Kamera gibt? Nur eine Situation von vielen, in denen Menschen mit Hörbehinderung im Alltag daran gehindert werden, ganz selbstverständlich Einrichtungen zu nutzen, die eigentlich für alle da sein sollen. Da bleibt nur, das Risiko in Kauf zu nehmen, stecken zu bleiben und dann mehr oder weniger passiv auf Hilfe zu warten – oder die Treppe zu nehmen.

So etwas kann Navina, 13, aber nicht aufhalten: Sie trainiert in einem Leichtathletikverein und besucht die Tanz-AG in ihrer Schule …
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Ich bin taub | neuneinhalb – Deine Reporter | WDR
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Das Land Bayern hatte 2013 das Ziel gefasst, innerhalb von zehn Jahren komplett barrierefrei zu werden – im gesamten öffentlichen Raum, im gesamten Öffentlichen Nahverkehr. Allein für das Jahr 2022 sieht der Haushaltsplan Mittel in Höhe von rund 146 Millionen Euro vor. Was hat sich konkret getan und kann das Ziel Bayern barrierefrei bis 2023 wirklich erreicht werden? Rosana, Comedienne und selbst gehörlos, war als Testerin unterwegs …
Auch wenn der Weg zu echter Teilhabe und Gleichberechtigung von Gehörlosen und Hörenden noch weit scheint: Gebärdensprache wird auch in der Welt der Hörenden immer sichtbarer, etwa bei Kulturveranstaltungen oder im Fernsehen, auf dem Arbeitsmarkt und vor allem in den Sozialen Medien. Die junge Generation der Hörbehinderten ist selbstbewusster als früher und engagiert sich aktiv dafür, dass die Bedürfnisse ihrer Gemeinschaft sichtbar gemacht und bekannt werden.

Dabei ist die Gemeinschaft der Hörbehinderten und Gehörlosen lange nicht so homogen, wie man vielleicht denken könnte. Nicht jeder, der eine Hörbehinderung hat oder gehörlos ist, gehört automatisch zu einer Art großen, harmonischen Familie. Wer dazu zählen will, muss seinen Platz oft erst finden, manchmal sogar erkämpfen: Träger:innen von Hörprothesen, sogenannten Cochlea-Implantaten oder Taubblinde; Menschen, die außer der Hörbehinderung noch eine Sehbehinderung haben. Sehen statt Hören stellt mit Ben, Harriet, Kristin und Til vier junge Taubblinde vor, die mit großem Engagement und Herzblut dafür einstehen, dass die Community der Taubblinden innerhalb der Gebärdensprachgemeinschaft wahrgenommen und als Teil ihrer gemeinsamen Kultur integriert wird.
Menschen mit (Hör-)Behinderung unterscheiden sich nur in einem Punkt von anderen. Und der spielt oft eine größere Rolle, als er müsste. Denn Menschen mit Behinderung sind wie alle anderen vor allem vielseitige Persönlichkeiten; mit den unterschiedlichsten Begabungen und Fähigkeiten ausgestattet. Und sie wünschen sich konkrete Unterstützung und dass ihre oft sehr unterschiedlichen Bedürfnisse wahr- und ernstgenommen werden. Damit Inklusion nicht nur in einer EU-Konvention festgeschrieben bleibt, sondern normaler, gelebter Alltag werden kann. Und wenn sich das nächste Mal zwei junge Frauen im Zug unterhalten, die Deutsche Gebärdensprache miteinander sprechen? Nicht nur gucken, sondern die eigene Scheu überwinden und in Gebärdensprache einfach mal „Hallo!“ sagen.
Erstkontakt:

Innerhalb Sichtweite:

Außerhalb Sichtweite:

Und wie lerne ich Gebärdensprache?

Einen ersten Einstieg bietet beispielsweise Annalisa auf ihrem YouTube-Kanal an: Ihre Muttersprache ist die Deutsche Gebärdensprache, weil ihre Eltern beide gehörlos sind.

Wer das Gelernte vertiefen möchte, nimmt am besten an entsprechenden Kursen an Volkshochschulen, Gebärdensprachschulen oder Universitäten teil. Und natürlich durch Kontakt zu Gehörlosen selbst.
"nicht stumm!" ist ein Projekt von "Taubenschlag". Hier findest du gut formulierte Antworten auf die klassischen Klischees über taube Menschen und Gebärdensprache. [nicht-stumm.de]
Auf der Webseite "Gebärden lernen" findet ihr einen Kurs zur Alltagskommunikation in Deutscher Gebärdensprache, ein Wörterbuch, interaktive Übungen zu Wortschatz, Grammatik und Kultur und vieles mehr. [gebaerdenlernen.de]
Gehörlose Menschen fühlen sich in der Welt der Hörenden oft fremd und ausgegrenzt. Doch gerade die Jüngeren unter ihnen beginnen, sich zu wehren gegen "Audismus", die Diskrimierung durch Hörende. Sie fordern ihr Grundrecht auf Teilhabe ein. [deutschlandfunkkultur.de]
Es ist schwer, sich vorzustellen wie es ist, wenn man langsam taub wird. Für Beethoven war es eine Katastrophe: Ein Musiker, der nicht hört, bekommt keine Aufträge – und damit auch kein Geld. In einem (erfundenen) Brief vertraut er sich einem Jugendfreund an. [mehr]
Einst war es verboten, sich mit dem Körper auszudrücken. Heute wird erforscht, wie die Gebärdensprachen weltweit zusammenhängen. [faz.net]
1760 traf Charles Michel Lespée, genannt Abbé de L'Epée, auf gehörlose Zwillingsschwestern. Der ehemalige Jurist und verstoßene Geistliche entdeckte seine Lebensaufgabe. Er unterrichtete fortan gehörlose Menschen und gründete die weltweit erste Schule für Gehörlose. [planet-wissen.de]
Radio hören, mit Freunden telefonieren oder ins Kino gehen – wer nicht hören kann, muss auf Dinge wie diese oft verzichten. Aber es geht auch anders. Wir zeigen euch, wie. [planet-wissen.de]
Wie streitet man eigentlich mit seinen Eltern, ohne, dass sie einen hören können? Stefan, der mit Gebärdensprache groß geworden ist, erzählt euch vom Aufwachsen mit gehörlosen Eltern und den Herausforderungen dabei. [ardaudiothek.de]
Samantha und Antonio haben einen Traum: Geige und Klavier spielen lernen. Was für andere Kinder nichts Besonderes ist, ist für sie extrem schwierig, denn sie sind von Geburt an fast taub. Mithilfe eines einzigartigen Konzepts soll ihr Traum wahr werden. [ardmediathek.de]
Das Fingeralphabet wird zusätzlich zur Gebärdensprache genutzt, um Begriffe zu buchstabieren. Das Buchstabieren einzelner Buchstaben erfolgt mithilfe jedes einzelnen Fingers. Hier lernt ihr das Fingeralphabet der Schweiz. [hoerbehindert.ch]
Hier findet ihr alle Sendungen der ARD, die im Fernsehen, im Livestream oder via HbbTV mit Deutscher Gebärdensprache begleitet werden. [programm.ard.de]
Helen Keller war noch nicht einmal zwei Jahre alt, als sie schwer erkrankte. Sie verlor die Fähigkeit, zu sehen und zu hören. Der Zorn darüber trieb die Amerikanerin zu einer beispiellosen Karriere. [spiegel.de]
Ein CI ist ein Hörprothese – mit allen Chancen und Risiken. Wie ergeht es CI-Trägern in ihrem Leben? Welcher Kulturgemeinschaft fühlen sie sich zugehörig – hörend oder gehörlos? Oder sind sie in beiden Kulturen daheim? [ardmediathek.de]
Der Hörvorgang: eine der aufwendigsten Sinnesleistungen von Tier und Mensch. Wir zeigen euch, wie Schallwellen in Nervensignale umgewandelt werden, warum ältere Menschen hohe Töne oft kaum noch hören und was Hunde und Fledermäuse uns akustisch voraushaben. [ardmediathek.de]
Musik in Gebärdensprache übersetzen – das will Ari in einem ganz besonderen Selbstversuch fürs PULS Open Air 2019 machen und vor Tausenden von Menschen live performen. Aber wie funktioniert das überhaupt und schafft Ari es? [mehr]
Der Hörsinn ist der differenzierteste unserer Sinne. Bereits vor der Geburt ist er so ausgebildet, dass der Embryo Stimmen wahrnehmen kann. Später kann ein Mensch bis zu zwanzig einzelne akustische Signale pro Sekunde unterscheiden. [mehr]


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