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Architektur für Gehörlose: Jan Philipp Koch im Interview – Süddeutsche Zeitung – SZ.de

Lesezeit: 4 min
Voller Durchblick: Dank dieser Transparenz sehen auch gehörlose Bewohner, wenn von vorne jemand auf das Haus zukommt oder ob ein Familienmitglied im Garten ist.
Der Architekt Jan Philipp Koch ist gehörlos. Wie er Räume wahrnimmt und sein Haus umgebaut hat, um sich den Alltag zu erleichtern.
Interview von Lars Klaaßen
Jan Philipp Koch hat sich in Köln ein Haus aus den Dreißigerjahren gekauft, es saniert, umgebaut und um einen fast gleich großen Anbau erweitert. Dort arbeitet und wohnt der Architekt, der als Kind durch eine Krankheit sein Gehör verloren hat. Das Konzept für sein Eigenheim berücksichtigt diese Beeinträchtigung und erleichtert ihm den Alltag in vielerlei Hinsicht. Koch kann Lippen lesen, das Gespräch wurde an seinem Küchentisch geführt.
SZ: Herr Koch, hat Ihre Gehörlosigkeit Sie zur Architektur gebracht?
Jan Philipp Koch: Architektur ist ein Beruf, den man vor allem mit den Augen ausübt. Zumindest, was den Entwurf und die Planung betrifft. Das hat mich daran gereizt. Dazu kam das architektonische Konzept des „Deaf Space“. Es wurde für Gehörlose in den USA entwickelt, ist in Europa aber wenig verbreitet. Dass man als Architekt in der Praxis viel organisiert und telefoniert, war mir allerdings nicht bewusst. Hierbei unterstützt mich eine Arbeitsassistentin. Das funktioniert gut.
Welche Erfahrungen mit Räumen haben Sie im Alltag gemacht, bevor Sie Ihr eigenes Haus entwarfen?
Oft fehlten Möglichkeiten der Kommunikation – innerhalb von Gebäuden und auch, weil der Bezug nach draußen zu kurz kam. Räume waren für mich häufig zu klein und zu dunkel. Ob Lippenlesen oder Gebärdensprache: Für beides ist ein Abstand von zwei Metern gut, um die Freiheit beim Gestikulieren zu haben und um sein Gegenüber optisch gut erfassen zu können. Beim Lippenlesen achte ich nicht nur auf die Lippen, sondern zum Beispiel auch darauf, wie sich die Ohren meines Gegenübers bewegen. So kann ich leichter erfassen, was gesprochen wird.
Der Architekt Jan Philipp Koch ist gehörlos. Mit seiner Lebensgefährtin hat er ein Haus gebaut, das die Verständigung erleichtert.
Wie viel Platz sollte man mit Blick auf Gehörlose einplanen?
Die Vorgaben des barrierefreien Bauens für Rollstuhlfahrer sind ein guter Anhaltspunkt. Deren Bewegungsfläche wird mit mindestens 1,5 mal 1,5 Meter veranschlagt. Vorteilhaft sind außerdem abgerundete Ecken, die im Unterschied zu rechten Winkeln den Blick nicht abrupt abschneiden. Große Räume haben generell den Vorteil, dass das Blickfeld weiter ist.
Die Vorder- und Rückfronten ihres Anbaus sind im Erdgeschoss komplett verglast. Maximale Transparenz von der Straße bis in den Garten ist nicht jedermanns Sache.
Dank dieser Transparenz sehe ich, wenn von vorne jemand aufs Haus zukommt oder ob meine Frau gerade im Garten ist. Die Küche samt offenem Wohnbereich hat etwas Halböffentliches. Im Altbau nebenan sieht das schon anders aus. Dort befinden sich unter anderem das Bad sowie Schlaf- und Arbeitsräume. Wir können uns also auch zurückziehen. Der große Raum hier im Neubau ermöglicht Sichtbeziehungen durch das gesamte Innere sowie nach draußen. Wichtig sind neben den räumlichen aber auch die Lichtverhältnisse.
Es soll nicht zu dunkel sein …
Das Licht sollte aber auch nicht blenden oder Schatten werfen. Nach Norden hinaus ist das in der Regel unproblematisch. Scheint die Sonne direkt durchs Fenster, sind Jalousien hilfreich, mit denen man genau regulieren kann, wie das Tageslicht ins Zimmer fällt. Bei der Innenbeleuchtung ist indirektes Licht von Vorteil. Deckenlampen sollten möglichst hoch hängen, damit man nicht direkt hineinguckt. Einerseits sollte das Licht generell eher weich sein, andererseits arbeite ich aber auch mit Reflexionen.
Transparenz zwischen den Stockwerken ermöglicht Kommunikation auch ohne Worte.
Widerspricht sich das nicht? Wozu dienen Reflexionen?
Wenn ich hier im Anbau nach vorne zur Straße hinausgucke und der Hund kommt vom Garten angelaufen, sehe ich das durch die Reflexionen der Glasfronten, obwohl der Garten sich ja hinter mir befindet. Wenn man solche Effekte von Anfang an gezielt einplant, kann das später im Alltag vieles leichter machen. Reflexionen können aber auch optische Unruhe erzeugen, irritieren oder blenden. Das widerspricht der Grundidee, eine weiche Lichtatmosphäre zu schaffen. Daher gilt es dieses Planungselement genau abzuwägen. Wichtig ist auch, dass man auf die richtigen Farben und Materialien achtet.
Was haben Farben und Materialien mit Gehörlosigkeit zu tun?
Es strengt an, sich vollkommen auf seine Augen zu verlassen, um die Umwelt zu erfassen und um zu kommunizieren. Umso angenehmer ist dann eine visuell entspannte Raumatmosphäre. Gedeckte und erdige Farben beruhigen die Augen und absorbieren Reflexionen. Ähnlich ist es mit rohen Materialien wie „Beton brut“, Holz, Stahl, Glas und grobem Rillenputz. Da kommt zu den Farben noch die Struktur. All das erzeugt eine auf das Wesentliche reduzierte Raumstimmung. Hörende haben mir auch schon mitgeteilt, dass diese Materialien zu einer angenehmen Raumakustik beitragen. Aber das kann ich nicht beurteilen.
Blick von oben ins Erdgeschoss: Sichtbeziehungen zwischen Stockwerken herstellen zu können, ist für Gehörlose im Alltag sehr hilfreich.
Welche Bedeutung haben technische Hilfsmittel?
Optische Signalgeber, wenn zum Beispiel jemand an der Haustür klingelt, gibt es ja schon lange. Die Steuerung des Smart Home via Apps auf dem Handy hat die Möglichkeiten enorm erweitert. Ganz nebenbei erleichtert mir sogar das Energiekonzept des Hauses den Alltag. Alt- und Neubau entsprechen KfW-85-Standard. Der Altbau ist exzellent wärmegedämmt, die großflächige Verglasung des Neubaus nach Süden erzeugt den gewünschten Treibhauseffekt, womit der Altbau erwärmt wird. Das geschieht durch eine kontrollierte Be- und Entlüftung samt Wärmerückgewinnung. Wir lüften also nicht durch die Fenster. Ob irgendwo der Wind hineinpfeift, könnte ich nicht hören – und brauche es auch nicht, weil ich weiß, dass ohnehin immer alle Fenster geschlossen sind.
Noch einmal zu den Sichtbeziehungen, die können hier im Anbau auch vertikal hergestellt werden.
So etwas lässt sich im Neubau gut planen, im Bestand eher schwierig. Die Galerie hier im ersten Stock ist nach allen Seiten zum Erdgeschoss offen und selbst nicht einsehbar, also ein Rückzugsraum, der eng mit unserem halböffentlichen Lebensbereich verbunden ist. Lediglich der Durchgang zum Altbau hat einen gläsernen Boden. Dort lässt sich eine Sichtbeziehung in beide Richtungen herstellen. Ansonsten kann meine Frau mir über das Geländer nach unten zuwinken, egal, in welcher Ecke ich mich hier unten aufhalte. Wenn ich nicht nach oben gucke, wirft sie schon auch mal ein Kissen herunter.
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