Am 19. September strahlt das ZDF mit „Du sollst hören“ einen Film aus, der ein Thema in den Mittelpunkt rückt, was viel zu selten Beachtung findet. Von Hörenden wird Gehörlosigkeit oft als ein Makel empfunden, den es zu beheben gilt. Der Fernsehfilm der Woche geht der Frage nach, ob Kinder ein Recht auf Hören haben und ob dieses schwerer wiegt als der Wunsch der gehörlosen Eltern davon keinen Gebrauch zu machen. Wir haben Schauspieler und Kampfkunst-Meister Benjamin Piwko zu den Themen Gebärdensprache, Cochlea-Implantate und Hindernisse im gehörlosen Alltag interviewt.
Alle in Milas Kernfamilie sind gehörlos. Papa Simon (Benjamin Piwko) und Mutter Conny (Anne Zander) genauso wie ihr Bruder Mats. Als bei einer Untersuchung im Krankenhaus festgestellt wird, dass Milas Hörnerv ausgebildet ist, wird Mutter Conny nahe gelegt, ihrer Tochter ein Cochlea-Implantat einsetzen zu lassen. Mit anschließender entsprechender Förderung, so die Ärzte, bekäme Mila die Chance auf ein „normales“ Leben. Alle außer den Eltern sind von der Idee begeistert, vor allem Connys hörende Schwester, Tante Jette (Laura Lippmann). Aber die Familie lehnt ab.
Das Krankenhaus schaltet daraufhin das Jugendamt ein, der Fall landet vor Gericht. Ist Hören zu können ein Übergriff auf Eltern und ihr Elternrecht zu entscheiden, was das beste für ihr Kind ist, oder ist hören zu können grundsätzlich immer besser als taub zu sein? Dieser Frage geht „Du sollst hören“ in 90 Minuten nach und gibt Hörenden einen (sehr kleinen und beschränkten) Einblick in die Herausforderungen gehörloser Menschen.
Herr Piwko, der Vater, Simon Ebert, den Sie im Film verkörpern, schwankt eher mit der Entscheidung vielleicht doch ein Cochlea-Implantat in Betracht zu ziehen, als seine Frau. Wie würde es Ihnen persönlich gehen, würden Sie auch schwanken?
Ich glaube, jedem Elternteil würde die Entscheidung schwer fallen. Man muss schließlich für einen anderen Menschen entscheiden. Es ist ein großer Eingriff, der Risiken hat. Meine Mutter hat damals gewartet und mir selbst die Entscheidung überlassen und ich habe mich dagegen entschieden. Meine erste Muttersprache ist Lippenlesen und Jahre später mit 14 habe ich meine zweite Muttersprache gelernt.
Empfinden Sie ein Cochlea Implantat (CI) als Optimierung an Kindern?
Bei jedem Kind ist das CI sehr unterschiedlich. Mal funktioniert es besser, mal schlechter. Es ist auch mit viel Arbeit verbunden, das Hören zu erlernen. Aber ich würde vorziehen, die Gebärdensprache zu erlernen, damit die Muttersprache nicht verloren geht. Denn sollte ein Kind die stille Welt bevorzugen, braucht es die Gebärdensprache. Ein Kind sollte es selbst entscheiden dürfen.
Und was würden Sie sich vielleicht stattdessen wünschen?
Ich freue mich, dass die Gebärdensprache bald Teil des Unterrichts an den Schulen wird. So werden Türen geöffnet, damit Hörende und Gehörlose Kinder zusammen aufwachsen und sich niemand ausgeschlossen fühlt. Es einigt uns alle, es einigt die kommenden Generationen. Und das ist für mich ein Geschenk.
Der Alltag der tauben Familie wird im Film natürlich nur ausschnittsweise dargestellt. Was erleben taube Familien denn wirklich im Alltag?
Viele Barrieren. Viel Aufwand im Alltag unter Hörenden. Man muss sehr großen Aufwand betreiben um zb Behördengänge zu machen. Man braucht einen Dolmetscher, der einem bestimmte Dinge übersetzt. Natürlich lernen Gehörlose Menschen, mit diesen Barrieren umzugehen, aber es kostet viel Kraft. Könnten mehr Menschen die Gebärdensprache, wäre vieles einfacher.
Fanden Sie die Darstellung der Familie realistisch?
Zum Teil ja. Wir blicken im Film ja nur in kleine Ausschnitte.
Der Sohn der Familie erzählt ja sehr eindrucksvoll, dass er sprechen kann, dass aber die meisten Menschen seine Sprache nicht sprechen. Braucht es mehr Gebärdensprache im Alltag?
Ja, so wie ich es ja schon gesagt habe. Es gibt im Schulunterricht verschiedene Sprachen zu lernen. Warum also nicht die Gebärdensprache? Es ist ja nicht einfach nur eine Sprache. Es ist eine Ausdrucksform die den Geist schult und Menschen dazu bringen kann, sich mehr zu öffnen und auszudrücken. Es ist eine wunderschöne Sprache, die Kinder spielerisch erlernen können und die auch Spaß macht. Man darf nicht vergessen, die Gebärdensprache ist die älteste Sprache der Welt. Als der Mensch das Wort noch nicht kannte, hat er gebärdet.
Und wie bekommen wir das hin?
In den Schulunterricht einbinden. Und schon im Kindergarten einfache Gebärden lernen. Auf Werbeplakaten Gebärden zeigen. Nachrichten und Sendungen mit Dolmetschern. Dann wird auch das Interesse geweckt. Denn ich merke bei vielen Hörenden auch großes Interesse, Gebärden zu lernen.
Mein Sohn ist 1,5 Jahre jung und hat sein CI (Cochlea Implantat) auf einem Ohr seit April 2022. Auf dem anderen Ohr hat er ein Hörgerät ohne Implantat, weil das noch etwas mehr und genug hört, so dass das dort reicht. Und meine Tochter (3,5 Jahre) hat auf beiden Ohren Hörgeräte, aber auch keine CIs.
Ich teile die Meinung von Benjamin Piwko nicht zu 100 %. Gebärdensprache ist etwas tolles, aber sich nur darauf im Alltag zu stützen ist heutzutage einfach nicht umsetzbar. Daher sollte man meiner Meinung nach schon mit dem Fortschritt gehen und, wenn möglich, ein CI bevorzugen. Es gibt Risiken, ja, aber die gibt es bei allen Eingriffen dieser Größenordnung. Und letztlich ist der tägliche Umgang mit dem CI auch nichts anderes, als würde man eine Sehhilfe tragen.
Man gewöhnt sich dran und wenn man dem Kind das vor allem in jungen Jahren schon näherbringt, ihm/ihr das Gefühl gibt, dass es was ganz normales ist, dann ist das auch für das Kind kein Problem. Zumal das ja auch nicht ausschließt, die Gebärdensprache noch zusätzlich zu lernen. Außerdem ist es wesentlich besser, wenn das Kind ein CI schon sehr früh und nicht erst mit 14 Jahren oder so bekommt, weil sich dann der ganze Körper, aber in erster Linie das Gehirn besser darauf einstellen kann.
Empfinden Sie den Film als eine längst überfällige Aufklärung zum Thema Taubsein?
Es gibt schon ein paar sehr schöne Filme zu dem Thema. Aber natürlich, wir brauchen mehr davon.
In der Abschlussbemerkung plädiert die Richterin dafür, lieber taub als gehörlos zu sagen, weil damit ein Mangel ausgedrückt würde. Wie empfinden Sie das?
Als Mangel empfinde ich das Wort „Taubstumm“. Denn das stimmt in keinem Fall. Taube Menschen können sehr laut sein. Ich habe das Sprechen gelernt, und ich spreche viel. Taube Menschen gestikulieren sehr laut. Vielleicht für Hörende Menschen akustisch nicht wahrzunehmen, aber visuell sehr laut.
Was ist, Ihrer Meinung nach, das größte Hindernis tauber Menschen im Alltag?
Der spontane Zugang zu Informationen. Ohne großen Aufwand. Wir müssen immer nachfragen. Wenn zb der Zug das Gleis wechselt, bekommen wir es nicht mit. Alle Hörenden wechseln automatisch das Gleis, wir stehen und stehen und wundern uns, warum der Zug nicht kommt. Es ist mühsamer. Wir müssen immer aufmerksam sein, nachfragen, hinschauen. Wir können uns nicht unseren Gedanken hingeben und trotzdem Informationen bekommen. Das ist sehr anstrengend oftmals und man läuft etwas hinterher. Es wäre heutzutage kein Problem mehr Zugang zu Informationen zu bekommen. Wir müssen sie nur zur Verfügung gestellt bekommen. Bei allen öffentlichen Plätzen, im Internet oder Untertitel im Film, Kino, Fernsehen und Veranstaltungen.
Bevor ich mich für den Artikel und die Interviews mit dem Thema Gehörlosigkeit auseinander gesetzt habe, hatte ich rudimentäres Halbwissen. Ich weiß, wie vermutlich viele, dass der Alltag ohne Gehör sehr viel beschwerlicher ist. Mir ist bewusst, dass es, wie so oft, wenn etwas von der vermeintlichen „Normalität“ abweicht, sehr viel Organisation und Eigeninitiative braucht, um zurecht zu kommen.
Natürlich sollte es niemals die Aufgabe von Betroffenen sein, andere Menschen zu erhellen, aufzuklären. Deswegen sind solche Filme wie „Du sollst hören“ aber so wertvoll. Sie ermöglichen einen ganz anderen Zugang zum Thema und erleichtern die Auseinandersetzung mit verschiedenen Fragestellungen. Und ich hoffe sehr, dass insbesondere der unsägliche Begriff „taubstumm“ aus dem Wortschatz verschwindet.
Die Szene, in der die Richterin Mats nach seiner (fehlenden) Sprache fragt und er ihr erklärt, er hätte ja eine, die gut funktioniert, sie müsse sie nur lernen, die prägt sich sehr ein und ist damit in sich schon ein Plädoyer für mehr Gebärdensprache im Alltag.
Den Film „Du sollst hören“ könnt ihr am 19. September um 20:15 Uhr im ZDF schauen. Alternativ ist er ein Jahr lang in der Mediathek verfügbar.
Euer Leben als Familie beginnt gerade erst? Im Video bekommt ihr Tipps zur Elterngeldbeantragung:
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Darum sollten wir Gebärdensprache sprechen: Schauspieler … – familie.de
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