Mit Kassandra Wedel (37) übernimmt erstmals eine gehörlose Schauspielerin eine dauerhafte Rolle bei "In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte".
Von Nadine Steinmann
Erfurt/Leipzig – Besondere Premiere für „In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte„: Mit Kassandra Wedel (37) übernimmt erstmals eine gehörlose Schauspielerin eine dauerhafte Rolle in der ARD-Arztserie. Als Neurochirurgin Dr. Alica Lipp wird Wedel am morgigen Donnerstag ihren ersten großen Auftritt haben. Im Interview mit TAG24 spricht die ehemalige Hip-Hop-Weltmeisterin über Vorurteile, ihre persönlichen Wünsche sowie über den Unterschied zwischen hörenden und gehörlosen Schauspielern.
TAG24: Dr. Alicia Lipp ist Ihre erste große TV-Rolle. Wie kam es dazu?
Kassandra Wedel: Mein Agent hat mich auf das Casting aufmerksam gemacht, ich habe mich beworben und wohl überzeugen können.
TAG24: Wird sich die Neurochirurgin gut am Johannes-Thal-Klinikum einfinden?
Wedel: Ja. Die meisten Kollegen haben Respekt vor ihr. Trotzdem heißt es nicht, dass für sie in der Kommunikation alles klappt, denn die Kollegen können ja noch nicht wirklich Gebärdensprache.
TAG24: Worin ähnelt Dr. Lipp Ihnen?
Wedel: Dass sie nicht so schnell aufgibt, wenn andere sagen, das ginge nicht. Sie hört nicht darauf, was andere sagen. In diesem Sinne ist Taubsein nicht schlecht, denn sie geht unbeirrt ihren Weg. Sie ist belesen, gebildet und mehrsprachig.
TAG24: Welche Herausforderungen bringt Ihre Gehörlosigkeit am Set mit sich?
Wedel: Generell muss ich noch viel aufklären, wenn Hörende zum ersten Mal mit einer Tauben zusammenarbeiten. Es gibt Szenen, da klappt die Kommunikation für eine Gehörlose einfach nicht und dann auch für die Rolle nicht. Kommunikation ist aber keine Einbahnstraße. Es gilt, weiter Barrieren abzubauen, auch für Dr. Lipp.
TAG24: Wie waren die Reaktionen Ihrer Kollegen? Kann schon jemand Gebärdensprache?
Wedel: Viele haben sich gefreut, etwas Neues lernen zu können. Aber Gebärdensprache fließend zu beherrschen, braucht Zeit und vor allem ein visuelles Sprachgefühl. Man darf nicht vergessen, Gebärdensprache hat eine andere Grammatik, sie wird nicht Wort für Wort wiedergegeben.
TAG24: Mit welchen Schwierigkeiten müssen Gehörlose in der Schauspielbranche kämpfen?
Wedel: Uns wird immer noch nicht genug zugetraut! Wenn ich als taube Schauspielerin sage, es braucht einen Gehörlosen-Coach, der den Kollegen coacht, weil er in der Szene gebärden können muss, dann fragen die meisten Produktionen ihn einfach nicht an. Ich muss dann wieder Aufklärung leisten, was eigentlich nicht mein Job ist! Ich bin müde davon und möchte mich auf meinen Job konzentrieren können, so wäre es professionell!
„Es ist überhaupt eine Frechheit, über 100 Jahre Gebärdensprache zu verbieten, ja, sie ihrer Sprache zu berauben und dann Gebärdensprach-Experten nicht ihre Arbeit machen zu lassen. Sorry!“
TAG24: Welche Ziele wollen Sie als Schauspielerin erreichen?
Wedel: Eine mega gute Charakterrolle in einem super Film, den man nicht so leicht vergisst.
TAG24: Marlee Matlin hat als gehörlose Schauspielerin einen Oscar gewonnen, berührte zuletzt in dem Drama „Coda“. Ist sie ein Vorbild für Sie?
Wedel: Sie ist ein Vorbild für alle Gehörlosen. Aber ich finde, sie hatte nach dem Oscar einfach nicht diese superguten Charakterrollen. Und das meine ich: Ihr wird nicht genug zugetraut. Das ist das Traurige. Mit einem hörenden Oscar-Preisträger wird anders umgegangen. Er oder sie wäre überall auf Covern zu sehen gewesen, hätte gute Rollenanfragen bekommen. Wo ist Marlee Matlin? Sie wurde zu sehr auf ihre Taubheit reduziert.
Episode 295 „Durchatmen“ von „In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte“ läuft am Donnerstag um 18.50 Uhr im Ersten.
Titelfoto: Montage ARD/Jens-Ulrich Koch ; dpa/Matthias Balk
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