Das christliche Medienmagazin
Foto: PRO/Katharina Kraft
Josephine Lew ist es fast schon unangenehm, dass sich jemand für ihre Arbeit interessiert. Dabei hat sie Außergewöhnliches geleistet und als Gehörlose Theologie studiert. Jetzt kann die Theologin mit dem Bachelor-Abschluss in der Pfälzischen Landeskirche ihre Berufung leben: als erste gehörlose Beauftragte für Gebärdenseelsorge.
Die 36-Jährige, die in einer gläubigen Familie aufgewachsen ist, ist von Geburt an gehörlos. In ihrer Familie ist Lew die einzige Gehörlose. Aber ihre Mutter engagiert sich als Sozialarbeiterin in der Gehörlosen-Gemeinde. Diese wird für Lew zum zweiten Zuhause und der dortige Pfarrer ein Türöffner für ihre Studienpläne.
Denn für theologische Themen interessiert sie sich schon früh. „Ich wollte gerne vertiefen, was ich bis dahin verstanden hatte.“ Nach dem Abitur macht sie erst eine Ausbildung zur Heilerziehungspflegerin, weil es für ein Studium zu wenig Dolmetscher gibt.
An der Uni Leipzig ist sie erst die dritte hörbehinderte Studentin überhaupt. Schnell merkt sie, wo das Studium sie an ihre Grenzen bringt. In vielen Dingen ist sie auf die Hilfe der Verwaltung angewiesen, etwa um Dolmetscher zu beantragen und bezahlt zu bekommen. Vor allem ihr Vater hilft ihr dabei, den Aufwand zu bewältigen. „Inhaltlich hat das alles Spaß gemacht. Aber der persönliche und fachliche Austausch mit den anderen Studenten war sehr schwer“, gesteht sie.
Den Stundenplan muss sie danach ausrichten, wann finanzierte Dolmetscher zur Verfügung stehen. Unter diesen Umständen ist es unrealistisch, das Pensum hörender Studenten zu bewältigen: „Es ist sehr kraftraubend, den ganzen Tag nur auf Dolmetscher zu schauen.“ Deswegen hat ihr Studium fast zehn Jahre gedauert.
Deutsche Gebärdensprache ist eine anerkannte Sprache mit eigener Grammatik. Jede Haltung und Bewegung der Finger und Hände hat eine Bedeutung. Es gibt auch unterschiedliche Dialekte.
Jetzt möchte sie das umsetzen, wofür sie brennt: Beziehungen aufbauen, Menschen Sinnstiftendes anbieten und die biblische Botschaft weitergeben. Dabei zeigt ihr auch der Arbeitsalltag klare Grenzen auf. Für Kleinigkeiten oder Behördengänge brauchen sie und andere gehörlose Gemeindemitglieder oft einen Dolmetscher.
Sie erlebt, was Immanuel Kant einmal so zusammengefasst hat: Das Nicht-Sehen trennt von den Dingen, das Nicht-Hören von den Menschen. In der Pfälzischen Landeskirche ist sie seit April 2021 für Vernetzung dieser Menschen zuständig. Lew soll Kontakte zu den Gehörlosen-Gemeinden intensivieren und ihnen bei ihren Problemen helfen. Neben den regelmäßigen Angeboten für Gehörlose möchte sie Brücken in die Welt der hörenden Gemeinden schlagen.
Die Landeskirche in der Pandemie kennenzulernen, war gar nicht so einfach. Viele Angebote haben pausiert. Kürzlich gab es in Kaiserslautern zum ersten Mal seit Langem einen Gottesdienst für Gehörlose. Der persönliche Kontakt habe sie „sehr bewegt“. In ihrer Landeskirche sind in Ludwigshafen/Frankenthal, Speyer, Landau, Kaiserslautern und Zweibrücken die großen Gemeinden mit insgesamt durchschnittlich 300 Besuchern.
Sie feiert Gottesdienste mit den Gehörlosen. Aber die Theologin möchte noch weitere Angebote etablieren, wo diese sich austauschen können. Lew schweben Bildungsangebote, aber auch gemeinsame Ausflüge vor. Ihre Partner sind neben einem schwerhörigen Pfarrer im Saarland die Gehörlosen-Verbände, der Dachverband der kirchlichen Gehörlosen-Arbeit (DAFEG) und der katholische Kollege des Bistums.
Natürlich ist sie auch für Wünsche und Ideen der Gemeinden offen. Sie hat zunächst ein Budget beim Integrationsamt beantragt, aus dem sie bei Bedarf Dolmetscher einteilen kann. Angestellt ist sie als Gemeinde-Diakonin. Obwohl sie aus familiären Gründen nur eine halbe Stelle hat und es viel zu tun gibt, ist sie zuversichtlich: „Ich erlebe offene Gemeinden“, sagt sie, indem sie ihre Hände zu Worten formt – übersetzt von einer Dolmetscherin.
Die Gehörlosen sollen sich in der Gemeinde wohlfühlen, auch wenn es im Alltag einige Hürden zu überwinden gibt: „Ich kann zum Beispiel niemanden schnell anrufen.“ Wenn die Zusammenarbeit mit hörenden Gemeinden intensiviert werden soll, müssten die dortigen Predigten auch in Gebärdensprache übersetzt werden.
Dass Jesus in der Bibel taube und stumme Menschen heilt, liest sie mit ganz anderen Augen als Hörende: „Ich bin zwar taub, aber mein Herz ist offen. Ich kann mich ja mit anderen Gehörlosen ganz normal unterhalten und empfinde das Taubsein nicht als Einschränkung.“ In Ludwigshafen gibt es sogar einen Gebärdenchor, der bestimmte Lieder mit Hilfe eines hörenden Dirigenten in Gebärdensprache einstudiert. Ähnliche Beispiele kennt sie aus Leipzig: „Wir haben den Text inhaltlich für uns gedeutet und dann in Gebärdensprache übersetzt.“
Lew wohnt mit Mann und Kind, beide gehörlos, in Mannheim. Viele Gehörlose seien durch ihre Erziehung belastet und ihnen fehle der Mut, aus sich herauszugehen. „Wir müssen sie stärker befähigen und auf Gottes Geist vertrauen, dass sie noch offener werden.“ Viele sehnten sich nach einem Austausch, auch weil sie in Gruppen von Hörenden schnell isoliert sind.
Deswegen ist Lew froh, wenn die gesetzlichen Corona-Bestimmungen endlich auch Veranstaltungen und persönliche Treffen erlauben. Sie wünscht sich zudem, dass Hörende und Nicht-Hörende ihre gegenseitigen Berührungsängste abbauen. Ganz praktisch wäre es, wenn Gemeinden, die einen Podcast oder Gottesdienste anbieten, selbstverständlich auch eine PDF-Datei hochladen, damit Gehörlose die Inhalte nachlesen können.
Mit ihrer Biografie möchte Lew andere Gehörlose ermutigen, ebenfalls Theologie zu studieren. „Aber es braucht Kraft und Durchhaltevermögen, Steine aus dem Weg zu räumen und bürokratische Hürden zu überwinden.“ Und sie ist sicher: Mit Offenheit und Wertschätzung lassen sich gehörlose Menschen dafür gewinnen, sich trotz und mit ihrer Einschränkung in der Kirche einzubringen. Lew lässt sich von den ganzen Hürden auf jeden Fall nicht entmutigen.
Dieser Text ist zuerst in der Ausgabe 2/2022 im Christlichen Medienmagazin PRO erschienen. Das Magazin können Sie kostenlos online bestellen oder telefonisch unter 0 64 41/5 66 77 00.
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Mein Schwager, in Norwegen, ist dort einer der aktiven im Gerhörlosenbereich. Hat schon viel erreicht. Sein Name ist Rune Anda, ist aktiv auf facebook. Lebt dort in Bergen. Vielleicht könnt ihr mit ihm Kontakt aufnehmen. Ich habe nicht so viel Beziehung mehr, meine Frau vor vielen Jahren gestorben, bin Österreicher, wir konversieren in englisch, ich kann wenig norwegisch.
Eine ganz tolle Geschichte. Vielleicht gelingt es so endlich Gehörlose und Gebärdensprache mehr in das Zentrum der Gemeinden zu bekommen. Denn es gibt eigentlich keinen Grund, warum nicht in Kindergärten oder kirchlichen Kinder- und Jugendgruppen ganz selbstverständlich auch Gebärdensprachkurse angeboten werden. Könnte eine „coole“ Sache werden und für Gehörlose perspektivisch der entscheidende Unterschied, wenn einfach viel mehr Menschen sich ich Gebärden unterhalten könnten.
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