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“Sehr rechtstheoretisch”: Der DGB im Interview zur 2. Staatenprüfung in Genf

Am 29. und 30. August fand in Genf die UN-Staatenprüfung durch den Fachausschuss der Vereinten Nationen (United Nations, UN) statt. Das Ergebnis war für viele Verbände und Aktivistengruppen weder eine Überraschung noch zufriedenstellend. Wir sprachen mit dem ehrenamtlichen Präsidenten des Deutschen Gehörlosen-Bundes über das Verfahren:

Wie ist dein erster Eindruck vom Staatenprüfungsverfahren, nachdem es nun durchgelaufen ist?

Helmut Vogel: Es war ganz überfällig, dass der Fachausschuss der Vereinten Nationen (UN) im Rahmen der zweiten und dritten Staatenprüfungsverfahren Deutschland prüfen konnte. Das erste Staatenprüfungsverfahren war ja 2015. Das Engagement für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) ist seitens der Regierungen im Bund und den Ländern nicht mehr klar gewesen. Deswegen hat der Fachausschuss sich verwundert gezeigt und auf verschiedene unklare Situationen hingewiesen: Betreuungsrecht, Gewaltschutzkonzept in Einrichtungen, inklusive Beschulung, freie Wahl der Arbeitsplätze, Barrierefreiheit, selbstständige Pflege zu Hause und so weiter.

Der konstruktive Dialog war jedenfalls sehr rechtstheoretisch.

Für den DGB war es von Vorteil, dass Thomas Worseck für den DGB auch in Genf da war und sich mit anderen austauschen konnte. Die Parallelberichte von der Zivilgesellschaft und der unabhängigen Monitoringsstelle der UN-BRK beim Deutschen Institut für Menschenrechte haben viele Mängel bei der Umsetzung der BRK schon offengelegt und es kritisiert.

In seinem Video auf dem DGB-Instagram-Kanal sagst du, dass Thomas mit der Deutschen Behindertenrat-Delegation als Vertretung für den DGB angereist ist. In Thomas’ Video am Ende des ersten Tages wiederum heißt es, er sei als Vertretung für den Deutschen Behindertenrat (DBR) dort – das sorgte für etwas Verwirrung. Könnt ihr da Klarheit reinbringen?

HV: Der DBR ist kein eigenständiger Verband, sondern ein Aktionsbündnis. Die Einzelverbände haben sich beim DBR gemeldet, dass die Delegierten für ihre Verbände nach Genf dabei sein konnten. Es war daher eine siebenköpfige Delegation des DBR, stellvertretend für die Zivilgesellschaft.

Wie hat der DGB sich auf die Staatenprüfung vorbereitet?

HV: Ein etwa zehnköpfiges Redaktionsteam beim Deutschen Behindertenrat hat die Koordination für die Sammlung der Berichte von diversen Themengruppen und danach die Abfassung des Parallelberichts übernommen. An diesem Parallelbericht haben sich 37 zivilgesellschaftliche Organisationen beteiligt. Die ehren- und hauptamtlichen Personen vom DGB haben sich in Themengruppen mit bestimmten Artikeln der UN-BRK (beispielsweise zu den Artikeln 9, 11, 21, 24, 25, 27, 29) befasst und mitdiskutiert. Der Parallelbericht lehnt sich an die Fragenliste (List of Issues) an, die 2018 von der Zivilgesellschaft und der Monitoringsstelle der UN-BRK vom DIMR festgelegt worden ist. Das Schwierige dabei war, dass der Parallelbericht bis zu 7.000 Wörtern umfassen durfte und eher im behindertenübergreifenden Sinne abgefasst sein müsse. In fast jedem Artikel ist die Rede von der Barrierefreiheit drin, oftmals ohne genauere Inhalte, worum es genau geht.

Das Thema Gebärdensprache oder Gehörlosigkeit kam am ersten Tag nicht zu Wort, am zweiten Tag kaum und nur im Hintergrund. Wieso ist ein so komplexes Thema wie Inklusion auf gerade mal sechs Stunden begrenzt?

HV: Ja, die gehörlosen- bzw. hörbehindertenspezifischen Themen wurden nicht vertieft besprochen. Das gilt aber auch bei anderen behindertenspezifischen Themen. Man muss bedenken, dass es inzwischen weltweit 180 Vertragsstaaten sind, die die UN-BRK ratifiziert haben. Der Fachausschuss trifft sich zweimal im Jahr für einige Wochen zusammen und prüft nach und nach die Vertragsstaaten mit Hilfe der Staatenberichte und Parallelberichte. Nach konstruktiven Dialogen muss der Fachausschuss die abschließenden Bemerkungen für jeden geprüften Vertragsstaat machen, wie für Deutschland innerhalb von einem Monat.  

Nach der Prüfung ist es 24 Stunden lang möglich, noch weitere Fragen einzureichen. Hat der DGB sich daran beteiligt? Wenn ja – welche Fragen waren dies? Wenn nein – warum nicht?

HV: Diese Möglichkeit ist der deutschen Delegation vorbehalten, nicht der Zivilgesellschaft. 

 Es sind nun etwa 14 Jahre vergangen, seit die UN-BRK in Deutschland in Kraft getreten ist. Die Umsetzung läuft schleppend voran, Verbände bemängeln „Ausreden“ der deutschen Regierung und die Staatenprüfung scheint ein eher zahnloses Instrument zu sein. Seht ihr das genauso?

HV: Das Ergebnis von der Staatenprüfung ist für beide Seiten, die Regierungen bzw. die Zivilgesellschaft ganz wichtig. Es bedeutet mehr Orientierung an der UN-BRK, im indirekten Sinne mehr Druck, für die Regierungen beim Bund und bei den Ländern. Wir sind uns sicher, dass die abschließenden Bemerkungen die Mängel bei der Umsetzung der UN-BRK klar benennen würde. In diesem Falle würde es mehr Schwung für die Zivilgesellschaft in nächsten Jahren geben. Beim Schlusswort am 30. August hat der Fachausschuss die deutsche Delegation klar gebeten um die enge Zusammenarbeit mit der Monitoringsstelle und der Zivilgesellschaft, sprich: Behindertenverbände, die großes Wissen durch die von ihnen verfassten Parallelberichte gezeigt haben.

Welche Mittel müsste man ergreifen, um Inklusion in Deutschland konsequent umzusetzen?

HV: Es reicht nicht, dass nur das Bundesministerium für Arbeit und Soziales immer wieder gezeigt hat, wie wichtig die Inklusion für die Gesellschaft ist. Andere Bundesministerien müssen auch selber zeigen und selber Mitteln bereitstellen. Diese alle Ministerien müssen mehr Partizipation zulassen, sprich: Mitbestimmung bei den Gesetzentwürfen, die Menschen mit Behinderungen betreffen. Die Segregation (Exklusion) ist keine Lösung wie in der Vergangenheit und führt zu Diskriminierungen gegenüber Menschen mit Behinderungen. Dank dem personenzentrierten Ansatz über das Bundesteilhabegesetz müsse es mehr Angebote geben, wie in den Bereichen Wohnen, Bildung, gesellschaftliche und politische Teilhabe und so weiter. Die Gehörlosen können mit dem zu beantragenden persönlichen Budget mehr Teilhabe z.B. mit Gebärdensprachdolmetschenden bekommen.

Vielen Dank für die Antworten!

Foto: DGB/Anton Schneid

Tags: Deutscher Gehörlosen-Bund e.V., Genf, Helmut Vogel, Interview, Staatenprüfung, UN

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