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Kritik an 20 dB-Regelung von Altpräsidenten

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In einem offenen Brief kritisieren ehemalige Präsidenten und Vizepräsidenten des Deutschen Gehörlosen-Sportverbands (dgsv) die neue 20-dB-Regelung, die am 1. Juli in Kraft getreten ist. Ursprünglich hatte der DGSV auf der Verbandstagung im November 2023 beschlossen, dass damit in den Kinder- und Jugendsparten auch Sportler*innen, die ab 20 dB hören können, zugelassen sind. Ursprünglich galt die Regelung, dass nur zugelassen ist, wer ab 55 dB hört.

Hintergrund: Eine Hörschwelle von 20 dB gilt laut dem deutschen HNO-Berufsverband als geringe Schwerhörigkeit, 19 dB wären sogar noch im Bereich der Normalhörigkeit. Eine Hörschwelle von 55 dB, wie es die alte DGSV-Regelung vorsieht, und wie es für den Erwachsenensport nach wie vor gilt, wäre zwischen einer mittelgradigen (ab 40 dB) und einer hochgradigen (ab 60 dB) Schwerhörigkeit einzuordnen.

Ursprünglich hätten Jan Eichler, Josef Wilmerdinger und Tobias Burz den „Offenen Brief“ am 6. Juni mit der Bitte um Weiterverbreitung an den DGSV geschickt, schreiben sie in einer E-Mail, die an die Deutsche Gehörlosenzeitung und den Taubenschlag geht. Sie befürchten, dass durch die Regelung die Bedeutung der Meisterschaften „verramschen“ würde und das “Fairplay“ in Gefahr sei. Die DGZ berichtet außerdem von einem Shitstorm auf Instagram. Viele Kommentare befürchten die „Zerstörung“ der „Gebärdensprache“ und „Gehörlosenkultur“ bei den Verbänden und Wettkämpfen, da so nun auch schwerhörige Kinder und Jugendliche an den Wettkämpfen teilnehmen können.

Die Kritik der Altpräsidenten und -vizepräsidenten richtet sich dabei vor allem an die Deutsche Gehörlosen-Sportjugend (DGSJ) und den Gehörlosen-Sportverband Niedersachsen. In der Mail an die Redaktionen heißt es: „Diese Person ist mittendrin verstrickt und befangen“. Auf Nachfrage vom Taubenschlag antwortet Jan Eichler: Damit sei Thomas Ritter gemeint, der neben seinem Vorsitz beim DGSJ gleichzeitig auch Vize-Vorsitzender des GSV Niedersachsen ist. Die Landessportverbände hätten mehr Stimmen als die Sparten, so Eichler, und hätten darüber die Änderung der Regelung im Sinne des DGSJ durchgesetzt.

Auf Rückfrage von Taubenschlag antwortete Thomas Ritter, dass sich bei den DGSJ-Sitzungen sowohl die Sparten als auch Länder zu dem Thema ausgetauscht hätten.

Vom DGSV-Dachverband antwortete der Vizepräsident Kommunikation, Ricardo Scheuerer, dass die 55 dB-Regelung aufgeweicht worden sei, damit mehr Kinder und Jugendliche gemeinsam Sport betreiben können. „Aktuell gilt das Prinzip: entweder Leistungssport oder mit dme Sport aufhören. Mit der Aufweichung werden vielmehr die Türen für Breitensport etwas weiter geöffnet.“ Ziel sei es, Kinder und Jugendliche zu mehr Bewegung zu animieren, da diese sich nachweislich immer weniger bewegen. Auch die UN-Behindertenrechtskonvention sähe vor, dass allen Menschen mit einer oder mehreren Behinderungen, die eine gleichberechtigte Teilnahme am Sport ermöglicht werden müsse. Das sei auch die Kernaussage des Antrags des Landesgehörlosensportverbands Niedersachsen gewesen: „Es soll den Kindern und Jugendlichen ermöglicht werden, gemeinsam an Meisterschaften teilzunehmen.“

Scheuerer betont auch, dass die barrierefreie Kommunikation gesichert würde und das Konzept explizit Deaf Spaces vorsieht, also den Schutz der gebärdensprachlichen Kommunikation.

Das Thema Gebärdensprache im Sport erhitzt immer wieder die Gemüter. Oft wird von internationalen Begegnungen berichtet, dass manche Mannschaften gar nicht mehr gebärden würden und vorrangig aus eher lautsprachlich orientierten Menschen bestünden. Gerade im Gehörlosensport, der für viele eine Gelegenheit ist, neue Menschen und Länder kennenzulernen und den eigenen Horizont zu erweitern, dürfte die Aussicht auf mehr lautsprachorientierte Konkurrenz bedrohlich sein, nicht zuletzt auch wegen des erwiesenen Vorteils bei Startsignalen, die akustisch schneller verabreitet werden als optisch.

Die Altpräsidenten und -vizepräsidenten Eichler, Burz und Wilmerdinger appellieren an den DGSV, die Änderung bis zur nächsten Verbandstagung zurückzunehmen. Der DGSV und die DGSJ planen dagegen eine Arbeitsgruppe, um das weitere Vorgehen der Umsetzung zu besprechen. Thomas Ritter sagte gegenüber Taubenschlag, dass der Gruppe bereits drei Präsidiumsmitglieder, ein Vertreter eines Bundeslandes und vier „unabhängige Personen“ angehören. Die Gruppe würde sich bereits austauschen und bald der Öffentlichkeit vorstellen.

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