Man kann nicht nicht übersetzen

Können wir Jürgen Stachlelwitz, bekannt als ehemaliger Moderator der Sendung Sehen statt Hören, auch als Übersetzer betrachten? Er musste sich – so scheint es mir – damals oft an deutsche Textvorlagen vom Telepromptermonitor und aus Moderationspapieren halten, was ihn daran gehindert haben muss, frei in Deutscher Gebärdensprache (DGS) zu sprechen. Er las offenbar Texte vom Monitor ab, die dann in die DGS „übersetzt“ wurden. Seine Formulierungen vor 20 Jahren wirken heute sehr deutsch und textnah. Die Grenze zwischen LBG und DGS war irgendwie auch fließend.

Die Herausforderung des Übersetzens kann ich heute auch bei dem öffentlich-rechtlichen Projekt „Hand drauf“ und auch bei vielen Projekten von „juteo“ des Fördervereins der Gehörlosen heute beobachten, wo sich die Moderator*innen teilweise eng an vorgegebene Texte halten, aber heute immer besser damit zurechtkommen. Im Vergleich dazu haben es die „normal“-hörenden Moderator*innen der Tagesschau leichter, da sie nicht zwischen den Sprachen wechseln müssen und die Texte direkt vom Teleprompter ablesen können. Diese Möglichkeit besteht nicht in Gebärdensprachen, die kein Schriftsystem haben.

Das führt dazu, dass Gehörlose beim Vorlesen sozusagen immer Übersetzungsarbeit leisten. Sie transportieren aus einer Sprache in eine andere. Wenn man es ganz genau nimmt, ist dies keine Besonderheit der DGS oder Gebärdensprachen im Allgemeinen. Das betrifft eigentlich auch andere Sprachen ohne Schriftsystem. Es wird allgemein angenommen, dass es weltweit etwa 7.000 Sprachen gibt. Die Zahl der Sprachen mit Schriftsystem ist deutlich geringer, da viele Sprachen nur mündlich überliefert werden und kein standardisiertes Schriftsystem haben.

In der Deutschen Gebärdensprache gibt es zwar Ansätze wie z. B. die GebärdenSchrift, diese sind mir aber oft zu komplex für den alltäglichen Gebrauch. Ich sehe dieses Konzept bereits kritisch, da es für mich in den Bereich der „Phonetik“, speziell der „Artikulationsphonetik“ fällt.

Bei der GebärdenSchrift geht es um die genaue Beschreibung von Handstellungen, Bewegungen etc. und weniger um den alltäglichen Gebrauch. Es dauert einfach sehr lange, eine Gebärde in GebärdenSchrift aufzuschreiben. Es wäre sinnvoller, dies stark zu vereinfachen und auf Details weniger Rücksicht zu nehmen.

Wir können uns Sprachen wie Chinesisch als Beispiel nehmen, deren Schriftzeichen hauptsächlich Bedeutungen und nicht Laute repräsentieren. Das chinesische Zeichen „人“ bedeutet „Mensch“ und wird als „rén“ ausgesprochen. In der chinesischen Schrift gibt es keine direkten Hinweise auf die Aussprache der Zeichen. Die Aussprache jedes Schriftzeichens muss in der Regel separat erlernt werden. Chinesische Schriftzeichen repräsentieren in erster Linie Bedeutungen und keine Laute. Obwohl es in vielen Zeichen phonetische Elemente gibt, sind diese nicht immer eindeutig oder konsistent, besonders für Lernende.

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